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Politik
Wie lange hält die europäische Einigkeit den Ukrainekrieg noch aus?
Talha Khan
Politischer Volkswirt
Im Überblick
  • Europa dürfte bei seiner harten Haltung bleiben und weiterhin auf eine Appeasement-Politik verzichten.
  • Umfragen zufolge wünschen die meisten Europäer ein schnelles Kriegsende – aber mit großen Unterschieden zwischen den Ländern.
  • Der kriegsbedingte Energiepreisschock schadet dem Konsumklima, lässt die Inflation steigen und könnte Europa zum Jahresende in die Rezession treiben. Viele dieser Risiken scheinen in den Wertpapierkursen aber schon berücksichtigt.
  • Auf lange Sicht müssen Investoren die Folgen nachhaltig höherer Energiepreise in Europa bedenken. 

Am 24. August lag der russische Einmarsch in die Ukraine ein halbes Jahr zurück. Er hat eine internationale Krise ausgelöst, die die Weltwirtschaft noch immer bestimmt. In Europa ist der Krieg recht nah: Man nimmt Flüchtlinge auf und unterstützt die Ukraine gemeinsam mit den westlichen Partnern finanziell und militärisch.


Vor allem aber leidet Europas Wirtschaft massiv unter dem Energiepreisanstieg. Er ist auch eine Folge des EU-Embargos für russische Energie und der russischen Drohung, in den nächsten Monaten kein Gas mehr zu liefern. Die europäischen Realeinkommen sind daher gefallen. Steigende Lebenshaltungskosten gelten in Europa oft als das größte Problem.


Hinzu kommt, dass die zu Beginn des Krieges so große europäische Einigkeit allmählich zu bröckeln beginnt. Zog man erst noch an einem Strang, beginnen jetzt wieder die üblichen Streitigkeiten wegen nationaler Interessen Bei der Art der Sanktionen gegen russische Energie ist man sich ebenso wenig einig wie bei ihrem Ausmaß. Manche EU-Länder stellen sogar die europäische Solidarität bei einer Gasknappheit im Winter infrage.


Wie lange kann die EU noch an einem Strang ziehen?


Kunden, Kollegen und andere Beobachter fragen mich, ob Europa seine Politik der Finanz- und Militärhilfen für die Ukraine beendet, wieder mehr auf Russland zugeht und auch Sanktionen zurücknimmt.


Ich rechne nicht damit. Ich glaube, dass man die beginnenden Meinungsverschiedenheiten in Brüssel übertüncht und eine gemeinsame Lösung findet, auch wenn es schwierig ist. Die europäische Solidarität mit der Ukraine war nie so groß, wie man nach der ersten emotionalen Reaktion auf den Krieg vielleicht glauben konnte. Dennoch wird sie wohl so bald nicht für eine Verhandlungslösung geopfert, bei der Russland ungestraft davonkommt.


Bei meinen Treffen mit wichtigen europäischen Politikern war ich überrascht darüber, wie sehr sie in der aktuellen Lage eine strategische Chance sehen, sich von Russland abzuwenden – von dem Land, das in der EU seit Langem für Streit sorgt.


Viele europäische Beschlüsse, nicht zuletzt die Einigung auf Waffenlieferungen, die beispiellosen Sanktionen gegen Russland (deren siebte Runde erst vor wenigen Wochen beschlossen wurde), der bevorstehende NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens und der EU-Kandidatenstatus für die Ukraine zeigen, wie entschlossen und einig sich die Europäer sind, wenn es darauf ankommt.


Russlands Präsident Wladimir Putin mag auf die Uneinigkeit Europas und einen Friedensvertrag mit der Ukraine zu seinen Bedingungen hoffen, der auch Gebietsabtretungen vorsieht. Im Westen weiß man das und wird trotz unterschiedlicher Meinungen über die angemessene Strategie zur Beendigung des Krieges aktiv. Trotz innenpolitischem Druck ist Appeasement keine Option. Die Sanktionen gegen Russland dürften daher bleiben, egal, wie und wann der Krieg endet. Europas Entscheidung, unabhängig von russischer Energie zu werden, halte ich für unumkehrbar.


Die meisten Europäer unterstützen die Sanktionen


Die meisten europäischen Politiker wissen, dass ein schwieriger Zermürbungskrieg droht. Sie wollen Entschlossenheit demonstrieren und warnen vor den Gefahren einer weicheren Haltung. Unterdessen machen Zweifel an der Energie- und Lebensmittelversorgung der Bevölkerung zusätzliche Sorgen.



Talha Khan ist politischer Volkswirt bei der Capital Group, verantwortlich für den Euroraum und allgemeine weltpolitische Fragen. Er hat zwölf Jahre Investmenterfahrung ausschließlich bei Capital. Er hat einen Master in Internationaler Volkswirtschaftslehre von der London School of Economics and Political Science (LSE) und einen Bachelor in Volkswirtschaft und Politik vom Macalester College in St. Paul, Minnesota. Khan arbeitet in London.


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