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Konjunkturausblick: USA geben der Weltkonjunktur Auftrieb
Darrell Spence
Volkswirt
Pramod Atluri
Portfoliomanager für festverzinsliche Wertpapiere
Brad Freer
Portfoliomanager

Die USA, die als größte Volkswirtschaft der Welt ihre Muskeln spielen lassen, bestimmen das globale Wachstum erneut maßgeblich. Während Europa und China schwächeln, scheinen die USA, Indien und in geringerem Umfang auch Japan stabil zu bleiben. Die stärksten Volkswirtschaften der Welt entwickeln sich auseinander.


Der Internationaler Währungsfonds geht davon aus, dass die US-Wirtschaft dieses Jahr – trotz höherer Zinsen und mehr Inflation – mehr als doppelt so stark wachsen wird als die Wirtschaft anderer wichtiger Länder. Kürzlich hob der IWF seine US-Wachstumsprognosen für 2024 auf 2,7% an. Für Europa werden nur 0,8% erwartet. Außerdem unterstützt der starke private Konsum in den Vereinigten Staaten die Konjunktur der übrigen Länder.


Früher sagte man gerne. „Wenn die USA niest, bekommt der Rest der Welt einen Schnupfen“. „Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein“, sagt Darrell Spence, Volkswirt bei Capital Group. „Wenn die US-Wirtschaft gut läuft, kann sie anderen exportorientierten Ländern helfen“.


Die USA und Indien geben der Weltwirtschaft Auftrieb


Gezeigt wird das Konjunkturumfeld mehrerer Länder und ihre Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Es gibt zwei Achsen. Die horizontale Achse ist ganz links mit „kurzfristige Herausforderungen“ und ganz rechts mit „kurzfristige Chancen“ betitelt. Die vertikale Achse ist oben mit „langfristige Chancen“ und unten mit „langfristige Herausforderungen“ betitelt. Kreise oben oder unten an der horizontalen Achse beziehungsweise links oder rechts an der vertikalen Achse stehen für Ländern. Die Größe der Kreise signalisiert die relative Stärke oder Schwäche der Volkswirtschaft der gezeigten Länder. Die USA, Indien und Japan liegen im Bereich „stabiles Wachstum“ und „kurzfristige Chancen“. Dies spricht dafür, dass sie der Weltwirtschaft starken Auftrieb geben. Dagegen liegt China eher im Bereich „schwaches Wachstum“ und „kurzfristige Herausforderungen“, während die EU, Australien, Kanada und Großbritannien zwischen „schwaches Wachstum“ und „langfristige Herausforderungen positioniert sind.   Die Europäische Union befindet sich hauptsächlich im Quadranten „schwaches Wachstum“ und nur zu einem kleinen Teil im oberen linken Quadranten.

Quelle: Capital Group. Die Länderprognosen sind zukunftsgerichtete Schätzungen von Volkswirten von Capital Group vom April 2024 und beruhen auf quantitativen und qualitativen Eigenschaften. Langfristige Chancen und Herausforderungen auf Grundlage struktureller Faktoren wie Verschuldung, Demografie und Innovationen. Kurzfristige Chancen und Herausforderungen auf Grundlage von zyklischen Faktoren wie Arbeitsmarkt, Wohnimmobilienmarkt, Staats- und Privatausgaben, Investitionen und finanzielle Stabilität. Die Größe der Blasen stellt die ungefähre relative Größe der einzelnen Volkswirtschaften (in US-Dollar) dar und dient lediglich der Veranschaulichung.

Spence ist zuversichtlicher als der IWF. Aus seiner Sicht wird die US-Wirtschaft dieses Jahr um fast 3,0% wachsen, weil die Verbraucher weiter viel Geld ausgeben, der Arbeitsmarkt noch immer eng ist und Fertigungsunternehmen investieren, um ihre Lieferketten zu diversifizieren. Zugleich hat die noch vor einem Jahr stark verbreitete Rezessionsangst nachgelassen.


„Angesichts der starken Zinserhöhungen der Federal Reserve, hatten die meisten Marktteilnehmer gedacht, dass sich die USA jetzt mitten in einer schweren Rezession befinden würde“, fügt Spence hinzu. „Auch ich bin überrascht, dass die Konjunktur nicht stärker nachgelassen hat.“


Die Teuerung geht weiter zurück, wenn auch deutlich weniger schnell als anfangs.


Viel hängt davon ab, wie sich die Inflation weiter entwickelt. Die US-Wirtschaft ist weiter gestiegen – trotz der höheren Teuerung und einer so hohen Federal Funds Rate wie seit 23 Jahren nicht mehr. In den letzten etwa zwei Jahren ist sie von nahezu null auf 5,25%–5,50% gestiegen.


„Die USA haben sich gut an das neue Zinsumfeld angepasst“, sagt Anleihenportfoliomanager Pramod Atluri.


Die Fed hat bei der Inflationsbekämpfung erhebliche Fortschritte gemacht. Der Verbraucherpreisanstieg ist von 9,1% im Juni 2022 auf zuletzt 3%–4% zurückgegangen. Das ist allerdings noch immer mehr als die von der Fed angestrebten 2%, was Zweifel daran aufwirft, dass die Zentralbank dieses Jahr wirklich die Zinsen senken wird. Gemessen an ihren öffentlichen Äußerungen scheinen die Fed-Vertreter eher zu einer Senkung zu neigen.


Weltweit geht die Inflation zurück, aber sind deshalb auch Zinssenkungen gerechtfertigt?


Ein zweigeteiltes Liniendiagramm zeigt die jährliche Veränderung des Verbraucherpreisindex (CPI) oben und die Leitzinsen in vier Regionen: Großbritannien, USA, Euroraum und Japan (unten) vom 31. Januar 2020 bis zum 30. April 2024 sowie Schätzungen bis Januar 2026. Das obere Diagramm „Veränderung der Verbraucherpreisinflation in %“ zeigt, dass die Inflation Anfang 2022 ihren Höhepunkt erreicht hatte und dann in allen Regionen zurückgegangen ist. Inflationshöchststände: Großbritannien bei 11,05%, USA bei 9,06%, Euroraum bei 10,6% und Japan bei 4,30%. Die gepunktete Linie steht für weitere Schätzungen, nach denen der rückläufige Trend in allen Regionen mit Ausnahme von Japan nach 2024 leicht ansteigt. Das untere Diagramm „Zentralbankzinsen in %“ zeigt einen Anstieg in allen Regionen, wobei die Leitzinsen gemessen an den Markterwartungen im Zeitablauf steigen: In  Großbritannien von 0,75% auf 5,25%, in den USA von 1,75% auf 5,50%, im Euroraum von -0,50% auf 4% und in Japan von -0,10% auf 0,10%. Die Grafik zeigt, dass die Verbraucherpreisinflation zwar zurückgeht, aber die Leitzinsen steigen, sodass – ausgehend ausschließlich von diesen Daten – Zinssenkungen möglicherweise nicht gerechtfertigt sind.

Quellen: Capital Group, Bloomberg Index Services Ltd., FactSet, Internationaler Währungsfonds (IWF). Inflationsdaten Stand 30. April 2024 mit Ausnahme von Japan. Stand der japanischen Inflationsdaten 31. März 2024. IWF-Schätzungen Stand April 2024. Leitzins: Overnight-Zinssatz für Interbankkredite. Inflation gemessen am Verbraucherpreisindex, einem Maß für die durchschnittliche Preisveränderung (in Städten) eines Warenkorbes mit Produkten und Dienstleistungen im Zeitlauf. Vom Markt erwartete Zinsentwicklung gemessen an Preis von Terminkontrakten Stand 23. Mai 2024.

Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell hat zwei mögliche Gründe für eine Zinssenkung genannt: ein unerwartet schwacher Arbeitsmarkt oder ein dauerhafter Rückgang der Inflation auf unter 2%. Wie Powell immer wieder betont, entscheidet die Fed „datenabhängig“.


Atluri ist zuversichtlich, dass sich die Inflation in der zweiten Jahreshälfte dem Ziel der Fed annähert. Das liegt vor allem daran, dass die Mietsteigerungen – einer der wichtigsten Ursachen für die noch immer recht hohe Inflation – weiter leicht nachlassen.


In anderen Ländern weltweit sind die Inflationserwartungen niedriger als in den USA, sodass die Zentralbanken dort ihre Zinsen schneller senken dürften. Europas Wirtschaft schwächelt. Ihr Wachstum liegt unter 1%. Die chinesische Wirtschaft leidet nicht nur unter dem Einbruch des Immobilienmarkts. Auch die Tatsache, dass die Volkswirtschaft nach fast 30 Jahren kontinuierlichem Wachstum ausgereift ist, belastet.


Emerging Markets: Indien im Aufschwung


Indien ist dagegen zum Star der Emerging Markets aufgestiegen. Nach den Prognosen des IWF wird die indische Wirtschaft in diesem Jahr 6,8% wachsen. Und gemessen am MSCI India Index haben indische Aktien in den letzten Jahren so gut abgeschnitten, wie kaum ein anderer Aktienmarkt.


Da weltweit seit dem Ende der Pandemie die Lieferketten diversifiziert werden, suchen viele Unternehmen in Indien nach zusätzlichen Produktionskapazitäten, da die Wirtschaft Chinas immer weiter reift. Beispielsweise ist Indien für Produzenten von Mobiltelefonen, Haushaltsgeräten, Pharma- und anderen Produkten, die bislang vor allem in China hergestellt wurden, eine tragfähige Alternative geworden.


China und Indien: Zweigeteilte Schwellenländer


Ein Liniendiagramm, dass die Entwicklung Anteile der Länder am MSCI Emerging Markets in % von 2001 bis 2004 zeigt. Gezeigt werden zwei Linie, eine steht für China, die andere für Indien. Die x-Achse zeigt die Jahre, die y-Achse zeigt den Anteil in %, von 0% bis 45%. Die China-Linie beginnt bei 5,40% am 31. Januar 2002, steigt stark auf einen Höhepunkt von etwa 43,24% am 31. Oktober 2020 und geht dann wieder zurück auf 25,13% am 31. März 2024.  Die Indien-Linie beginnt bei 5,68% am 31. Januar 2002 und steigt dann allmählich auf17,70% am 31. März 2024.  Ein schattierter Bereich von Ende 2020 bis zum 31. März 2024 hebt den Anstieg des Anteils Indiens und den Rückgang des Anteils Chinas hervor.

Quellen: MSCI, RIMES. Daten vom 31. Januar 2020 bis zum 31. März 2024.

Neben Indien befinden sich auch andere Emerging Markets im Aufwind. Die Infrastruktur wir immer schneller ausgebaut, neue Produktionszentren kurbeln die regionale Wirtschaft an, und die globale Energiewende veranlasst immer mehr ausländische Investoren, in immer mehr Schwellenländern anzulegen.


„Das Umfeld ist gut für Emerging Markets“, sagt Aktienportfoliomanager Brad Freer. „Multinationals diversifizieren ihre Lieferketten. Das ist eine Chance für Länder wie Indien, Mexiko und Indonesien, weil dadurch neue Investitionsmöglichkeiten für Fertigungsunternehmen aus den USA und Europa entstehen. Zugleich sind durch den starken Ausverkauf am chinesischen Aktienmarkt einige Marktführer mit hohen Cashflows attraktive Investmentziele geworden.“


Hinzu käme, dass die meisten Emerging-Market-Indizes gemessen an den KGVs so niedrig bewertet sind, wie seit zehn Jahren nicht mehr, sagt Freer, und die Zentralbanken vieler Schwellenländer hätten viel Spielraum für Zinssenkungen.


US-Präsidentschaftswahlen: Die ganze Welt schaut gespannt zu


Weltweit finden in diesem Jahr Wahlen statt, aber keine wird so genau beobachtete wie die Neuauflage des Duells zwischen dem aktuellen US-Präsidenten Joe Biden und dem früheren Präsidenten Donald Trump. Das Ergebnis könnte die politische Führung erheblich verändern und Veränderungen auslösen, die das Investmentumfeld nicht nur in den USA beeinflussen.


Viel hängt davon ab, ob der Gewinner ausreichend Unterstützung erhält, um auch anderen Kandidaten seiner Partei zum Sieg zu verhelfen, und sich eine Mehrheit sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus sichern kann – kurz gesagt davon, ob es eine rote oder blaue Welle geben wird. Wenn nicht, bleibt es beim Patt, sodass sich wenig ändern dürfte. Unabhängig vom Wahlausgang sollten sich Investoren auf vorübergehende volatile Phasen in den Monaten bis zur Entscheidung einstellen.


Welche Folgen die US-Wahlen für die Finanzmärkte haben könnten


Tabellarischer Überblick über die möglichen Auswirkungen unterschiedlicher Ausgänge der US-Wahlen auf die Finanzmärkte. Die linke Seite der Tabelle enthält die Sektoren, die von einer „roten Welle“ der Republikaner profitieren würden. Die rechte Seite enthält die Sektoren, denen eine „blaue Welle“ der Demokraten zugutekäme. Von einer roten Welle profitieren könnten: der  Sektor Banken und Finanzen (von schwächerer Regulierung und niedrigeren Kapitalanforderungen), der Sektor Luftfahrt und Verteidigung (von höheren Staatsausgaben), der Sektor Gesundheit (von schwächerer Regulierung, die den Wettbewerb und die Effizienz fördern würde, aber auch das Risiko niedrigere Preise und Gewinne birgt, der Sektor Öl und Gas (von der Förderungen von Bohrungen und Produktion in den USA und weniger Regulierung, wobei aber auch das Risiko niedrigerer Preise je Barrel besteht).  Von einer blauen Welle profitieren könnten: die Sektoren erneuerbare Energie und Elektrofahrzeuge (von mehr Unterstützung des Inflation Reduction Act (IRA) und strengeren Regulierungen), der Sektor Telekommunikation (von mehr finanzieller Unterstützung des Ausbaus des Breitbandnetzes), die Sektoren Hausbau und Industrie (von mehr Einwanderung, die die Lohnsteigerungen bremsen halten würde und die Sektoren Technologie und Fertigung (von anhaltender Unterstützung des IRA und des Chips Act. Die Tabellen enthalten einen allgemeinen Überblick möglicher Entwicklungen nach verschiedenen Wahlausgängen nach Einschätzung des Night-Watch-Teams von Capital Group, das aus Volkswirten, Analysten und Portfoliomanagern besteht.

Quelle: Capital Group. CHIPS-Act: Creating Helpful Incentives to Produce Semiconductors Act, der 2022 in den USA in Kraft gesetzt wurde, um die inländische Computerchips-Produktion zu fördern. 

Ein klarer Sieg der Republikaner (rote Welle) könnte Banken, Gesundheitsunternehmen sowie Öl- und Gasunternehmen  vor allem aufgrund schwächerer Regulierungen zugutekommen, meint das Night-Watch-Team von Capital Group, eine Gruppe von Volkswirten, Analysten und Portfoliomanagern, die sich mit solchen Themen befassen. Eine blaue Welle, also ein klarer Sieg der Demokraten wiederum könnte günstig sein für Initiativen im Zusammenhang mit erneuerbarer Energie, Wachstumsprogramme für die Industrie und Telekommunikationsprojekte. Außerdem würden dann neue staatliche Gelder für den landesweiten Ausbau der Breitbandnetze zur Verfügung gestellt.


Die Präsidentschaftswahlen werden ein Kopf-an-Kopf-Rennen. „Bis zu den Wahlen dauert es noch ein paar Monate“, sagt Matt Miller, Politikökonom bei Capital Group. „In der Politik ist das eine halbe Ewigkeit.“



Darrell Spence  ist Volkswirt, analysiert die USA und hat 31 Jahre Investmenterfahrung  (Stand 31. Dezember 2023). Er hat einen Bachelor in Volkswirtschaft vom Occidental College. Außerdem ist er Chartered Financial Analyst® (CFA) und Mitglied der National Association for Business Economics.

Pramod Atluri ist Anleihenportfoliomanager und hat 20 Jahre Investmenterfahrung (Stand 31. Dezember 2023). Er hat einen MBA von der Harvard University, einen Bachelor von der University of Chicago und ist Chartered Financial Analyst (CFA).

Bradford F. Freer ist Aktienportfoliomanager und hat 33 Jahre Investmenterfahrung (Stand 31. Dezember 2023). Er hat einen Bachelor in International Relations vom Connecticut College und ist CFA®.


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