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Inflation
Ist hohe Inflation die eigentliche Konsequenz der Pandemie?
Julian Abdey
Aktienportfoliomanager
Pramod Atluri
Portfoliomanager für festverzinsliche Wertpapiere
Nick Grace
Aktienportfoliomanager

Als die US-Inflation zum letzten Mal auf über 9 % stieg, war Ronald Reagan gerade zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden. IBM verkaufte seinen ersten Personal Computer mit Microsoft-Software. Und DeLorean Sportwagen aus Edelstahl rollten vom Band.


Vielleicht ist genau das der Grund, warum sich 2022 in gewisser Weise wie eine Reise in die Vergangenheit anfühlt. Eine hohe Inflation, steigende Zinsen, ein ausgeprägter Bärenmarkt und ein Stellvertreterkrieg mit Russland scheinen für jeden, der die frühen 1980er-Jahre erlebt hat, nur allzu vertraut zu sein.


Das heutige Marktumfeld wurde jedoch von einem ganz anderen Ereignis geprägt. Die COVID-19-Pandemie und – in entscheidender Weise – die Reaktion auf die Pandemie haben zu starken Verwerfungen in Wirtschaft und Märkten geführt, von der hohen Inflation über den chronischen Arbeitskräftemangel bis hin zu Lieferkettenunterbrechungen.


Welche dieser COVID-bedingten Verwerfungen schwinden mit der Zeit und welche bleiben langfristig bestehen? Das ist eine zentrale Frage für Anleger.


„Es gibt einige Aspekte der Pandemie, die nachlassen, und andere, die fortdauern”, sagt der Aktienportfoliomanager Alan Wilson. „Das ist das Problem, mit dem wir uns heute auseinandersetzen müssen. Wir müssen richtig reagieren, weil dies wahrscheinlich ausschlaggebend dafür ist, welche Unternehmen in einer Welt nach COVID-19 florieren und welche ins Hintertreffen geraten werden.”


Warum ist die Inflation so hoch?


Angesichts der hohen Inflation, welche die folgenreichste Konsequenz darstellt, hat ein Team von Portfoliomanagern, Analysten und Volkswirten der Capital Group beschlossen, das Verbraucherpreisniveau in 22 Ländern in Relation zur Zunahme der Geldmenge (oder M2) zu untersuchen (hierbei handelt es sich um eine breite Menge an Geld, das Währungen, Münzen, Sicht- und Spareinlagen sowie Anteile an Geldmarktfonds umfasst).


Das Team hat sich viele andere COVID-bedingte Verwerfungen angesehen, von denen einige im Folgenden ausführlicher behandelt werden. Doch da die Inflation praktisch alle Bereiche der Wirtschaft betrifft, ist es sinnvoll, hier anzufangen.


Die Zunahme der Geldmenge hat zu einer hohen Inflation beigetragen

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Quellen: Capital Group, Refinitiv Datastream. Die oben genannte Zunahme der Geldmenge wird durch die jährliche Veränderung der M2-Geldmenge dargestellt (diese umfasst Währung und Münzen, die im Besitz der allgemeinen Bevölkerung sind, Sichteinlagen und Reiseschecks sowie Spareinlagen, einschließlich Geldmarktdepots, kurzfristige Termineinlagen und Anteile an Geldmarktfonds für den Privatanleger). Die oben angegebenen Inflationszahlen beziehen sich auf die Entwicklung des Verbraucherpreisindexes in ausgewählten Ländern. Die ursprüngliche Analyse dieser Daten durch die Capital Group umfasste 22 Länder oder Regionen. Einige wurden zur leichteren Lesbarkeit aus der Tabelle entfernt. Die Inflationszahlen entsprechen dem Stand vom August oder Juli 2022 und geben die letzten verfügbaren Daten vom 14. September 2022 wieder.

Wie sich herausstellt, haben sich die grundlegenden Gesetze der Wirtschaft als richtig erwiesen.


Eine schnell wachsende Geldmenge – angekurbelt durch staatliche Anreize aus der Zeit der Pandemie, aggressive Kreditvergabe der Banken und extrem niedrige Zinssätze – fiel mit einer drastisch höheren Inflation zusammen. Mit anderen Worten: Die Länder, die während der Pandemie die stärksten Anreize geschaffen haben, finden sich jetzt mit den höchsten Inflationsraten wieder.


Tatsächlich könnte man argumentieren, dass die aktuell hohe Inflation nicht die größte Verwerfung darstellt, sondern vielmehr die beispiellosen Geld- und fiskalpolitischen Anreize, die unter anderem von den USA und Europa gewährt wurden, erklärt der Aktienportfoliomanager Julian Abdey.


„Ich werde an das berühmte Zitat von Milton Friedman erinnert: ‚Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen‘”, so Abdey. „Mit anderen Worten: Inflation wird dadurch verursacht, dass zu viel Geld zu wenig Waren hinterherjagt – und genau das sehen wir heute.”


Hat die Inflation ihren Höchststand erreicht?


Im Juni erreichte die US-Gesamtinflation auf Jahresbasis 9,1 % – den höchsten Stand seit 1981. Dieser Wert könnte schon fast der Höchststand sein, erläutert Abdey, und wenngleich es Verzögerungen geben könnte, ist es wichtig, dass die US-Notenbank (Fed) und viele andere Zentralbanken nun schnell Maßnahmen zur Straffung der Geldpolitik ergreifen. Dies sollte die Inflation letzten Endes senken. Darüber hinaus leisten die meisten Regierungen keine pandemiebedingten Unterstützungszahlungen mehr an Unternehmen und Einzelpersonen.


Bedeutet dies, dass die Inflation wieder auf das Niveau von 2 % zurückkehren könnte, das seit langem das Ziel der Fed war?


„Das hängt stark von den künftigen Maßnahmen der Fed ab,” fügt Abdey hinzu. „Ich sehe verschiedene Szenarien, darunter eine noch höhere Inflation sowie die Möglichkeit einer Rückkehr zur Deflation. Wenn die Fed weiterhin das Mittel der Zinserhöhung und übermäßigen Straffung wählt, könnte dies zu einer üblen Rezession führen. Andererseits könnten, wenn sie sich für den entgegengesetzten Kurs entscheidet, sich hohe Inflationserwartungen in der Realwirtschaft einnisten.“


Bisher sind Zinserhöhungen vorherrschend. Am Mittwoch, den 21. September, kündigte die Fed an, die Zinssätze um weitere 75 Basispunkte anzuheben, wodurch der Leitzins auf eine Zielspanne von 3,00 % bis 3,25 % steigt, den höchsten Stand seit Juni 2005.


Es gibt Anzeichen für einen beginnenden Rückgang der Inflation. In den USA ging die Inflation im August auf 8,3 % zurück – historisch gesehen immer noch ein hoher Wert, jedoch deutlich unter dem Wert von 9,1 % im Juni.


Die volatilen Energiepreise, die wesentlich zur Inflation beitragen, scheinen im Sommer ihren Höhepunkt erreicht zu haben und sinken nun allmählich. So sind beispielsweise die Benzinpreise in den USA in den letzten drei Monaten um etwa 25 % gesunken. Die Lebensmittelpreise steigen jedoch weiterhin stark an, ebenso wie die Preise für Neuwagen, Wohnungen, Strom und medizinische Versorgung.


Die Energiepreisanstiege lassen nach, was den Inflationsdruck verringert

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Quellen: Capital Group, Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die obige Inflation spiegelt den Verbraucherpreisindex der OECD in G-7 Ländern wider, also Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, das Vereinigte Königreich und die USA. Die Inflation wird anhand der jährlichen Zuwachsrate des Index gemessen, wobei 2015 das Basisjahr mit einer Aufschlüsselung nach Lebensmitteln, Energie und Gesamtkosten ohne Lebensmittel und Energie ist. Stand: Juli 2022.

Der große Schwund


Eine weitere COVID-bedingte Verwerfung, die sich weiter verfestigt, ist der ausgeprägte Arbeitskräftemangel. 2021 entstand ein populäres Mediennarrativ rund um die Vorstellung des „großen Schwunds”, inspiriert durch Daten der US-Regierung, die zeigen, dass etwa 47 Millionen Menschen in diesem Jahr freiwillig ihren Arbeitsplatz aufgegeben haben und anscheinend aus den Reihen der Erwerbstätigen verschwunden sind.


Weitere Daten und zahllose Umfragen haben die Gründe hierfür näher beleuchtet. Viele haben ihre bisherige Stelle aufgegeben, um einen besser bezahlten Job anzunehmen. Einige ältere Arbeitnehmer sind in den vorzeitigen Ruhestand gegangen. Und rund 600.000 US-Amerikaner haben sich dafür entschieden, ein eigenes kleines Unternehmen zu gründen, ein Trend, der sich nur schwer durch die monatlichen Beschäftigungsdaten nachverfolgen lässt.


Warum ist der Arbeitsmarkt also immer noch extrem angespannt und warum liegt die Arbeitslosenquote nahe bei einem Rekordtief von 3,7 %? Der Grund dafür ist, dass die US-Wirtschaft – und viele andere Volkswirtschaften weltweit – nicht mit den Wachstumstrends von vor der Pandemie Schritt halten konnten, so Jared Franz, Ökonom der Capital Group.


„Angesichts des durchschnittlichen jährlichen Wachstums der erwerbstätigen Bevölkerung vor COVID-19 sollten wir vier bis fünf Millionen Arbeitnehmer mehr haben als das aktuell der Fall ist,” schätzt Franz.


Arbeitsmarktkrise: Wo sind die Arbeitskräfte geblieben?

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Quellen: Capital Group, Bureau of Labor Statistics, Refinitiv Datastream, U.S. Department of Labor. Die oben genannte Erwerbsquote spiegelt die monatliche Erwerbstätigkeit der US-amerikanischen Zivilbevölkerung wider. Der Fünfjahresdurchschnitt enthält die durchschnittliche monatliche Erwerbstätigkeit zwischen Februar 2015 und Februar 2020. Der Durchschnitt nach Covid gibt die durchschnittliche monatliche Erwerbstätigkeit zwischen März 2020 und August 2022 wieder.

Dieses Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt traf einige Branchen härter als andere, insbesondere diejenigen, die am stärksten von den Lockdowns während der Pandemiezeit betroffen waren. Dazu gehören die Bereiche Reisen, Gastgewerbe, Fertigung und Bildung. Das Ungleichgewicht hat auch erhebliche Auswirkungen auf den Zinserhöhungskurs der Fed angesichts des Wunsches der Zentralbank, den überhitzten Arbeitsmarkt abzukühlen, was die Inflation durch Lohnerhöhungen zusätzlich erhöht.


„Wenn diese Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt anhalten,” sagt Franz, „wären mehr Zinserhöhungen erforderlich, als der Markt heute eingepreist hat (und das für einen längeren Zeitraum), um Arbeitskräfteangebot und -nachfrage anzugleichen.”


Franz ist der Ansicht, dass die Arbeitsmarktkrise langfristig nachlassen wird, insbesondere wenn die US-Wirtschaft in den nächsten ein oder zwei Jahren in eine Rezession stürzt. Aber das, so gesteht er zu, ist ein schmerzhafter Weg zur Problemlösung.


„Leider braucht es manchmal einen erheblichen Abschwung, um Ungleichgewichte in der Wirtschaft zu beseitigen,” sagt Franz.


Aktien und Anleihen fallen


Von allen großen aktuellen Verwerfungen in der Wirtschaft und den Märkten trifft dies die Portfoliodiversifikation mitten ins Herz.


Einfach ausgedrückt: Wenn Aktien sich in eine Richtung entwickeln, gehen Anleihen in die andere. 2022 muss das aber erst noch geschehen. Beide wichtigen Anlageklassen sind unter Druck geraten, da die hohe Inflation und steigende Zinsen wachstumsorientierte Aktien sowie zahlreiche Arten von Unternehmens- und Staatsanleihen belasten.


Mit Stand 31. August hat der S&P 500 Index im bisherigen Jahresverlauf ca. 16 % eingebüßt, während der Bloomberg U.S. Aggregate Index, der den US-amerikanischen Investment-Grade-Anleihenmarkt (mit einem Rating von BBB/Baa und höher) abbildet, um mehr als 11 % gefallen ist. Auf Basis der Gesamtrendite war das seit mehr als 45 Jahren nicht mehr der Fall – ein Zeitraum, der die Krise des Rentenmarkts von 1994, die Dotcom-Implosion Anfang der 2000er-Jahre und die globale Finanzkrise von 2007 bis 2009 umfasst.


US-Aktien und -Anleihen fallen selten gleichzeitig

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Quellen: Capital Group, Bloomberg Index Services Ltd., Standard & Poor's. Die obigen Renditen stellen die jährlichen Gesamtrenditen für alle Jahre dar, mit Ausnahme von 2022, das die Gesamtrendite für beide Indizes seit Jahresbeginn widerspiegelt. Stand: 31. August 2022.

Das gesamte Verhältnis steht und fällt mit der Inflation.


Wenn die Fed die Verbraucherpreise unter Kontrolle bringen kann, sollte sich die historisch negative Korrelation zwischen Aktien und Anleihen wieder einstellen, erklärt der Rentenportfoliomanager Pramod Atluri.


„Das ist die Billionen-Dollar-Frage,” sagt Atluri. „Befinden wir uns unter dem neuen Regime einer höheren Inflation oder nicht? Ich glaube nicht, dass das der Fall ist. Meiner Ansicht nach dürfte die Inflation wahrscheinlich nachlassen, wenn die Fed und andere Zentralbanken die Zinssätze weiter anheben und ihre Bilanzen reduzieren.”


Diese schmerzliche Erfahrung könnte sich jedoch langfristig auf die Märkte auswirken, da sie die Bereitschaft von Regierungen und Zentralbanken beeinflusst, künftig bei Krisen einzugreifen, fügt Atluri hinzu.


„Meiner Ansicht nach wird es im Laufe des nächsten Jahrzehnts weniger monetäre und fiskalische Unterstützung geben, wenn die politischen Entscheidungsträger beurteilen, was schief gelaufen ist,” fügt er hinzu. „Das wäre eine große Veränderung demgegenüber, was wir in den letzten zehn Jahren erlebt haben und was weitgehend durch staatliche Interventionen definiert wurde. Weniger Interventionen werden wahrscheinlich zu volatileren Märkten führen, als es die Anleger gewohnt sind.”


Verwerfungen mit einem Silberstreifen


Nicht alle COVID-bedingten Verwerfungen sind zwangsläufig negativ konnotiert. An den Aktienmärkten ergeben sich nach der Pandemie Chancen in verschiedenen Bereichen, so der Aktienportfoliomanager Nick Grace.


Zu diesen Bereichen zählt auch das, was Grace gerne als „strukturelle Veränderungen” bezeichnet, darunter der Übergang von herkömmlichen Energiequellen zu nachhaltigeren Quellen, jahrelange Unterinvestitionen in Rohstoffe, die zu einem neuen Rohstoff-Superzyklus führen könnten, sowie große industrielle Veränderungen, wie die zunehmende Akzeptanz der Automatisierung, die in einer höheren Nachfrage nach Halbleitern resultiert.


Er beobachtet auch bestimmte stark angeschlagene Unternehmen des Technologie- und Verbrauchertechnologiesektors, darunter einige der Lieblinge der COVID-Lockdowns, die seitdem stark abgestoßen wurden. Die bemerkenswerte Zunahme der Nachfrage, die während der Lockdowns zu beobachten war, hat sich als Strohfeuer erwiesen und nicht als neues Paradigma und die Aktienkurse beginnen nun, diese Realität widerzuspiegeln.


„Viele der Preisverzerrungen, die wir 2020 und 2021 gesehen haben, lösen sich nun auf,” sagt Grace, „das bedeutet aber nicht, dass sie nicht weiter fallen können. Aber es gab bereits einen erheblichen Preisverfall, und ich denke, dass die Kursexzesse zum großen Teil aus dem Markt herausgepresst wurden.”


In den nächsten paar Jahren, so betont Grace, werden hier die traditionellen Fähigkeiten bei der Aktienauswahl entscheidend sein.


„Viele dieser Unternehmen werden nicht überleben,” erklärt er, „aber eine Handvoll wird aus diesem Abschwung gestärkt hervorgehen und profitabler werden. Es ist unsere Aufgabe, sie anhand grundlegender Bottom-up-Analysen zu identifizieren, und ich bin zuversichtlich, dass wir dies auch tun können.”



Julian Abdey ist Aktienportfoliomanager bei der Capital Group. Er hat 25 Jahre Investmenterfahrung, davon 18 Jahre bei Capital. Er hat einen MBA von der Stanford Graduate School of Business und einen Bachelor in Volkswirtschaft von der Universität Cambridge. Außerdem ist er Chartered Financial Analyst®. Abdey arbeitet in San Francisco.

Pramod Atluri ist Anleihenportfoliomanager und hat 20 Jahre Investmenterfahrung (Stand 31. Dezember 2023). Er hat einen MBA von der Harvard University, einen Bachelor von der University of Chicago und ist Chartered Financial Analyst (CFA).

Nick Grace ist ein Aktienportfoliomanager mit 32 Jahren Anlageerfahrung (Stand: 31. Dezember 2021). Davor beschäftigte er sich als Analyst mit globalen Bergbauunternehmen. Er hat einen MBA-Abschluss von der University of Wisconsin und einen Bachelor-Abschluss von der University of Waikato, Neuseeland. Nick Grace ist zudem CFA.


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