Am Sonntag, dem 2. Juni, waren über 99 Millionen Menschen zu den bislang größten Wahlen in der mexikanischen Geschichte aufgerufen. Präsidentschafts-, Parlaments- und eine Reihe lokaler Wahlen fanden gleichzeitig statt.
Nach Auszählung von 95% der Stimmen steht fest, dass Claudia Sheinbaum, die eher linke Kandidatin der Morena-Partei und Schützling von Amtsinhaber Andrés Manuel López Obrador (AMLO), die Präsidentschaftswahlen gewonnen hat – und zwar mit dem höchsten Stimmenanteil aller Bewerber seit den 1980ern. Überraschender war der Ausgang der Parlamentswahlen: Die Morena-Partei hat zusammen mit ihren Verbündeten 69% der Sitze im Abgeordnetenhaus und damit mehr als die erforderliche Zweidrittelmehrheit gewonnen. Im Senat hat Morena mit 64% die Zweidrittelmehrheit nur knapp verfehlt. Der neue Kongress nimmt am 1. September seine Arbeit auf. Einen Monat später wird dann die neue Präsidentin ins Amt eingeführt.
Auswirkungen auf die Märkte
Der überraschend hohe Sieg von Morena lässt Anleger fürchten, dass die Gewaltenteilung durch Verfassungsänderungen aufgeweicht wird. Direkt nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse kam es daher zu einem Ausverkauf am
Im 1. Quartal 2024 hat AMLO eine Reihe von Verfassungsreformen angekündigt, die Sheinbaum vermutlich umsetzen wird. Manche davon geben bestehenden Programmen und Regelungen Verfassungsrang. Andere betreffen Reformen der Wahlbehörde, der Justiz sowie unabhängiger Behörden und stärken dadurch die Exekutive. Weniger klar ist, was diese Reformen für die Staatsfinanzen bedeuten. Auf jeden Fall aber dürfte die Haushaltspolitik unflexibler werden.
Die großen Mehrheiten der Regierung im Kongress ändern aber nichts daran, dass sie weiterhin auf eine berechenbare Konjunkturpolitik achten dürfte. Für höhere Sozialausgaben und Infrastrukturprojekte brauchte AMLO nur eine absolute Mehrheit >50%). Dennoch legte er Wert auf einen ausgeglichenen Haushalt. Er fürchtete eine Währungsabwertung und bestand darauf, wie versprochen auf „neue Steuern“ zu verzichten.
Die designierte Präsidentin Sheinbaum gab sich in ihrer ersten Rede nach dem Wahlsieg zurückhaltend. Darin stellte sie die Beibehaltung des Status quo in Aussicht: Haushaltsdisziplin, Respekt für die Unabhängigkeit der Notenbank, Fortsetzung der Sozialtransfers von AMLO, Erleichterung inländischer Investitionen, Förderung ausländischer Direktinvestitionen und Zusammenarbeit mit den USA. Sheinbaums Finanzminister erklärte, dass er das Haushaltsdefizit bis 2025 senken und Haushaltsdisziplin wahren wolle. Das erfordert aber vermutlich höhere Steuern. Allerdings ist die Steuerquote (in % des BIP) in Mexiko niedriger als in allen anderen OECD-Ländern und zählt zu den niedrigsten in Lateinamerika.
Worauf man achten muss:
Jetzt bis 1. Oktober 2024: In den nächsten vier Monaten werden sich die Anleger genau mit den Biografien und Erfahrungen wichtiger Minister und den öffentlichen Äußerungen der gewählten Präsidentin beschäftigen. Wenig spricht dafür, dass die neue Regierung ein Stabilitätsrisiko ist. Dennoch könnte sie zusammen mit dem von Morena dominierten Kongress die Genehmigung oder Umsetzung wichtiger Reformen hinauszögern, die Mexiko für Investitionen attraktiver machen.
September bis Oktober 2024: In dem Monat vom Beginn der neuen Legislaturperiode bis zum Amtsantritt der neuen Präsidentin könnte AMLO kurz vor dem Ende seiner Amtszeit versuchen, noch so viele seiner Reformen wie möglich durchs Parlament zu bringen. In dieser Übergangszeit wird man sich auch ein Bild von Sheinbaums Schwerpunkten machen können. Wir werden außerdem erfahren, ob die neue Regierung schnell auch im Senat eine Zweidrittelmehrheit zustande bringt.
Juni bis November 2024: Genau im Blick behalten muss man auch die US-Wahlen, vor allem, wenn man am Markt mit einem Wahlsieg Trumps zu rechnen beginnt. Für ihn ist die Krise an der Südgrenze zu Mexiko ein wichtiges Wahlkampfthema. Wenn er mit Grenzschließungen droht, könnte das zu neuen Spannungen führen. Allerdings ist Mexiko für die USA strategisch und wirtschaftlich wichtiger geworden. Handel und Produktion werden von China in mit den USA verbündete Länder verlagert.
November/Dezember 2024: Gegen Jahresende muss ein Sitz im Obersten Gerichtshof Mexikos neu besetzt werden. Morena wird dann vier der elf Richter ernannt haben. Deren Votum reicht aus, um ein vom Kongress beschlossenes Gesetz aus verfassungsrechtlichen Gründen zu blockieren. Vermutlich wird im November auch das Haushaltsgesetz eingebracht. Es wird Aufschluss darüber geben, ob Sheinbaum die „republikanische Austeritätspolitik“ von AMLO fortsetzt, also seine konservative Fiskalpolitik. In ihrer ersten Rede nach dem Wahlsieg hat sie das angekündigt.