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Marktvolatilität
Wie der Russland-Ukraine-Konflikt die europäische Wirtschaft bedrohen könnte
Robert Lind
Volkswirt

Russlands militärischer Angriff der Ukraine ist der erste Krieg auf europäischem Boden seit Generationen. Millionen von Menschen sind betroffen, und eine enorme humanitäre Krise steht bevor, weil viele gefährdete Ukrainer Schutz suchen oder ihre Heimat verlassen. Die Verschärfung und Ausbreitung des Konflikts ist bestürzend und sorgt für großes Leid der Menschen.


In diesem Artikel geht es um die möglichen Folgen des Konflikts für Märkte und Konjunktur.


Auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine haben die Regierungen der USA und aus Europa rasch reagiert. In den Finanznachrichten geht es vor allem um Wirtschaftssanktionen, aber aus meiner Sicht werden zwei andere Aspekte viel gravierendere Folgen für die Weltwirtschaft haben. Der erste ist der steigende Ölpreise, der zurzeit bei über 100 US-Dollar je Barrel liegt. Aus früheren Phasen mit weltpolitischer Unsicherheit, wissen wir, dass höhere Ölpreise die Weltwirtschaft erheblich belasten können. Ein Beispiel hierfür ist die Annexion der Krim durch Russland.


Die Aktienmärkte haben in der Vergangenheit geopolitische Ereignisse gut überstanden

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Quellen: Capital Group, Refinitiv Datastream, Standard & Poor's. Abbildung auf einer logarithmischen Skala dargestellt. Die Indexstände spiegeln die Preisrenditen wider und beinhalten nicht die Auswirkungen von Dividenden. Stand: 31. Januar 2022

Aus europäischer Perspektive macht allerdings vor allem die Entwicklung des ohnehin schon recht hohen Erdgaspreises Sorge. Es steht zu befürchten, dass es zu erheblichen Störungen der russischen Erdgaslieferungen in die EU kommen wird. Anhaltende weltpolitische Instabilität dürfte die Gaspreise noch weiter in die Höhe treiben. Problematisch ist das vor allem für Länder wie Deutschland und Italien, zwei der größten Volkswirtschaften Europas.


In den wichtigen europäischen Volkswirtschaften sind die Energiepreise bereits deutlich gestiegen. Die Ölpreise schlagen in der Regel schnell auf die Verbraucherpreise durch. Bei den Gaspreisen ist das nicht immer so, vor allem, weil die Regierungen versuchen, die Verbraucher zu schützen und entsprechende Maßnahmen treffen. Die jüngsten Anstiege werden in den nächsten Monaten vermutlich nach und nach auf die Verbraucherpreise durchschlagen.


Die Ankündigung Deutschlands, die neue Gaspipeline Nord Stream 2, über die russisches Gas nach Deutschland fließen sollte, nicht zu genehmigen, hat keinen direkten Einfluss auf die Gasversorgung, weil sie noch gar nicht in Betrieb war. Dennoch könnte es zu weiteren starken Störungen des europäischen Gasmarktes kommen, wenn Russland in Reaktion auf die Sanktionen den Gasexport nach Europa einschränkt. Das würde natürlich auch die russischen Wirtschaft belasten, aber Russland hat seine Währungsreserven aufgestockt, um eine solche Situation vorbereitet zu sein.


Ein weiteres Problem sind die Auswirkungen höhere Rohstoffpreise auf die Zentralbankpolitik.


Möglicherweise steht uns ein weiterer Angebotsschock bevor, sodass die Inflation steigt und das Wachstum bremst. Ich gehe davon aus, dass die Federal Reserve und die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik jetzt vorsichtiger straffen werden. Beide dürften die Reaktion der Finanzmärkte und die Entwicklung der Rohstoffpreise abwarten wollen. Am Ende wird die Fed aus meiner Sicht die Zinsen anheben, aber die Zinsschritte werden vielleicht nicht so stark ausfallen, wie die Märkte noch vor einer Woche erwartet haben.


Außerdem erwarte ich, dass die europäischen Regierungen die Privathaushalte und Unternehmen unterstützen werden, um sie ein Stück weit vor den Folgen höherer Energiepreise schützen. Dazu dürften sie die Maßnahmen der letzten Monate verstärken. Im schlimmsten Fall, also wenn es zu erheblichen Angebotsstörungen und höheren Preisen kommt, könnten die Regierungen gezwungen sein, die Energienachfrage zu senken und davon betroffenen Unternehmen und Branchen dafür zu kompensieren.


Während die wichtigen europäischen Volkswirtschaften kurzfristige Angebotsstörungen und volatile Preise verkraften können, wachsen Zweifel an der mittelfristigen Energiesicherheit in Europa. Für die EU wird es schwierig werden, ihre Gasspeicher im Frühjahr und im Sommer wieder füllen, wenn das Angebot knapp und die Nachfrage hoch bleiben.


Aufgrund des Kohleausstiegs einiger Ländern ist der Gasbedarf gestiegen. Zudem hat die deutsche Regierung bestätigt, ihre noch verbliebenen Kernkraftwerke bis Ende 2022 zu schließen. Der Druck auf die europäischen Regierungen, den Ausbau anderer Energiequellen zu beschleunigen, wird steigen. Aber das braucht Zeit, sodass jegliche weitere Verschlechterung der Beziehungen zu Russland Folgen für Europa haben können.



Robert Lind ist Volkswirt bei Capital Group. Er hat 36 Jahre Investmenterfahrung und ist seit acht Jahren im Unternehmen. Vor seiner Zeit bei Capital war Lind Group Chief Economist bei Anglo American und davor Head of Macro Research bei ABN AMRO. Er hat einen Bachelor in Philosophie, Politik und Volkswirtschaft von der Oxford University. Er arbeitet in London.


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